Ein Neubeginn mit Brahms

Das Staatsorchester Darmstadt unter einem neuen Generalmusikdirektor

Ein Neubeginn mit Brahms

Das zweite Sinfoniekonzert des Staatsorchesters Darmstadt (Saison 2018/2019) steht unter Leitung seines neuen Generalmusikdirektors Daniel Cohen. In Abänderung des ursprünglichen Programms wurde als Hauptwerk die erste Sinfonie von Brahms ausgewählt.

Insofern scheint es berechtigt, sich mit diesem Komponisten etwas näher zu beschäftigen.

Johannes Brahms (*1833 in Hamburg) erhielt von seinem Vater sehr früh Musikunterricht und studierte dann bei dem bedeutendsten Klavierpädagogen Hamburgs, Marxen. Seine ersten Konzerte finden in seiner Geburtsstadt statt, dann aber begibt er sich schon mit 20 Jahren auf eine Konzertreise. Daneben komponiert er seine ersten Klaviersonaten. Liszt lädt ihn nach Weimar ein, und Brahms begegnet dem berühmten Geiger Joseph Joachim, der ihn wiederum an Clara und Robert Schuman in Düsseldorf vermittelt. Schumann setzt sich für den außerordentlich Begabten öffentlich ein und sorgt auch für Verbindungen zu Verlegern. Kurz darauf stürzte sich Schumann in den Rhein; er wurde gerettet und auf eigenen Wunsch in die von einem Psychiater geleitete „Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren“ bei Bonn eingeliefert, die er nie wieder verließ. Brahms empfindet tiefes Mitleid mit der Witwe und Mutter von 6 Kindern, daraus entwickelt sich aber auch eine tiefe Zuneigung gegenüber der 14 Jahre älteren Freundin. Sie veranlasst Brahms auch, mit ihr und Joachim auf ausgedehnte Konzertreisen zu gehen, die zu außerordentlichen Erfolgen werden.

Brahms wird 1857 Chordirektor am Fürstenhof in Detmold, danach geht er wieder nach Hamburg, verlobt sich mit Agathe von Seibold. Eine Begegnung des Paares mit Clara Schumann führt jedoch zur Auflösung der Verlobung.

1957 veröffentlicht Brahms sein erstes Klavierkonzert (opus 15, d-moll), das bei der Uraufführung durchfällt, dann aber kurz darauf ein großer Erfolg wird. Das zweite Klavierkonzert kommt dann erst viele Jahre später zur Aufführung.1863 übernimmt Brahms die Leitung der Wiener Singakademie. Hier entstehen die Pagagini-Variationen, das Requiem, Lieder, Kammermusik, und er beginnt seine erste Sinfonie, die allerdings erst 1875 vollendet und 1876 in Karlsruhe uraufgeführt wird. Ursprünglich hatte er bereits 1854 begonnen, eine Sinfonie zu komponieren, er arbeitete aber den ersten Satz in den entsprechenden des d-moll-Klavierkonzerts op. 15 um. Die beiden Mittelsätze der ersten Sinfonie verändert Brahms noch kurz vor den Orchesterproben. Er selbst dirigiert sein Werk erst bei der dritten Aufführung.

Die erste Sinfonie von Johannes Brahms wurde Publikum und Kritikern nicht gleich zugängig. Der berühmte Kritiker E. Hanslick schrieb in seiner Rezension z.B.: „Zu einseitig scheint auch Brahms das Große und Ernste, das Schwere und Complicierte zu pflegen auf Kosten der sinnlichen Schönheit“. Viele Hörer wollten in diesem Werk „die Zehnte von Beethoven“ erkennen, wobei sie das vermeintliche Prinzip: „per aspera ad astera; durch Nacht zum Licht“ zu erkennen glaubten und auch bzgl. der Gestaltung bestimmter satztechnischer Details entsprechende Vermutungen anstellten. Brahms selbst hatte sich gegenüber dem Dirigenten und Freund Herrmann Levi geäußert: „Du hast keinen Begriff davon, wie es unsereinem zumute ist, wenn er immer einen Riesen hinter sich marschieren hört“.

Der Genuss dieser Musik soll mit diesen Ausführungen nicht durch akademische Analysen beeinträchtig oder zerstört werden. Vielleicht aber führen einige der folgenden Hinweise dazu, sich mit dem Spezifischen dieser Brahms´schen Komposition etwas intensiver zu beschäftigen, denn Brahms` Werk ist anderen Stilrichtungen nur schwer zuzuordnen. Er kann nicht direkt als Nachfolger Beethovens bezeichnet werden, auch stellt seine Musik kaum einen Bezug zu den Romantikern Mendelssohn oder Schumann her. Unverkennbar sind aber die Bezüge zu Bach und Händel – besonders im Requiem, aber auch in weiteren seiner Chorwerke. Insgesamt verwendete er aber überlieferte Formen und integrierte sie in sein eigenes Werk mit großer Unabhängigkeit. Besonders wichtig war ihm die Verwendung von Variationen. Dabei werden Motive aus vorangegangenen entwickelt. Betont werden muss auch, dass er sich immer an die klassische Sonatenform hielt, wobei er jedoch auch Neues versuchte. Auch Schönberg hat darauf hingewiesen, dass Brahms Neuheiten in der Komposition eingeführt hat. Insofern ist es dem heutigen Hörer auch leichter als Brahms´ Zeitgenossen, die von ihm entwickelten Formveränderungen (Überschneidung von Rhythmen, schnelle Dur-Moll-Wechsel) zu akzeptieren. Neben seinem sinfonischen Werk und der Kammermusik müssen besonders seine mehr als 300 Liedkompositionen herausgestellt werden, eine Art des musikalischen Ausdrucks, die ihm sehr lag.

Brahms – Symphony No 1- c-moll

Der erste Satz (Un poco sostenuto – Allegro) beginnt im 6/8 Takt mit großer Spannung; seine Einleitung wirkt durch die Dissonanzen, durch die gleichmäßigen Schläge der Pauke und durch die Bässe bedrohlich. Synkopen-Sprünge der Violinen kontrastieren mit Bläsereinsätzen. Es entwickelt sich ein Forte unter Einsatz aller Instrumente. Nach fast 40 Takten kommt es zu einem energischen Paukenschlag als Höhepunkt gefolgt von einem Motiv in punktiertem Rhythmus. Das zweite Thema wirkt dann wieder beruhigend. Es folgen aber Motivwiederholungen mit Variationen, und eine bedrohliche Unruhe kommt wieder auf. Die Steigerungen bei den Streichern in der Durchführung betonen diese Stimmung mit Staccatis ebenso wie wiederholte Einwürfe der Bläser und auch der Bässe. Insgesamt werden 2 Steigerungen entwickelt gefolgt von der Reprise mit dem Wiederauftauchen der Eingangsmotive. Schließlich kommt es zum beruhigenden Abschluss des Satzes in C-Dur.

Der zweite Satz (Andante sostenuto) ist dreiteilig gestaltet (A-B-A´, Coda), und beginnt mit dem lyrischen Hauptthema (Fagott und Streicher). Der gesamte Satz ist ausdrucksmäßig verhältnismäßig vielschichtig, was sich auch in der Satztechnik abzeichnet. Es herrscht zunächst ein ruhiges Tempo, dem ein Crescendo folgt, wobei wieder Dissonanzen auftreten. Besonders eindrucksvoll ist dann die von der Oboe legato vorgetragene Melodie, die von den Streichern begleitet wird. Im zweiten Teil dominiert zunächst die erste Violine, und erneut führt die Oboe ein Thema vor, das von der Klarinette übernommen wird. Es entwickelt sich eine Mischung aus Leidenschaft, innerer Unruhe und Erhabenheit, und wieder steigert sich der Klang bis zum Forte, klingt aber bis zum Pianissimo ab.

Im 3. Satz (Un poco allegretto e grazioso) spielt die Klarinette begleitet von den Fagotten ein Motiv (abgeleitet von der Oboen-Melodie aus dem 2. Satz); es herrscht eine ruhige Melodienlinie vor, die Gegenstimme erklingt vom Horn, dazu Pizzicato-Begleitung der Celli. Es treten aber immer wieder rhythmische Verschiebungen auf, einzelnen Phrasen werden gedehnt, dann wieder verkürzt. Im 2. Teil tritt – ebenfalls gespielt von der Klarinette – ein abgewandeltes Motiv auf, das von den Holzbläsern weitergeführt wird. Einige Takte später werden die Themen in deutlicher Steigerung variiert vorgetragen, bis sich der Ablauf wieder beruhigt und der Satz mit der Coda abgeschlossen wird.

Der Beginn des 4. Satzes (Adagio-Allegro non tropo ma con brio) wirkt wieder bedrohlich, es stellt sich ein aufbäumender Klang ein, die Töne wirken gezogen, und man hört düstere Paukenschläge im Hintergrund (Krisenstimmung). Es kommt zur Beschleunigung und zur Steigerung bis zum Forte; ein Paukensolo leitet dann eine Rückentwicklung zum Andante ein. Charakteristisch sind die wiederkehrenden beschleunigenden Pizzicati. Wieder entwickelt sich eine drängende Steigerung mit Tempobeschleunigung, die Streicher tremolieren, und es ertönt eine erlösende Hornmelodie (Brahms:“ Also blus das Alphorn heut“), die von der Flöte nachgespielt wird. Es entsteht eine feierliche Stimmung, die Posaunen intonieren einen Choral mit langen Notenwerten, das Ganze ist ins Friedliche umgeschlagen. Es ist vielfach erwähnt und auch von Brahms bestätigt worden, dass das Thema einer Stelle im 4. Satz der 9. Sinfonie von Beethoven ähnelt. Nach Wiederholung dieses Themas durch die Bläser wird ein Seitenthema entwickelt. Man hört auch wieder Motive aus dem ersten Satz. Im nächsten Abschnitt mit ausgeprägter Dramatik taucht das Hornmotiv erneut auf, und der Satz endet nach einem marschartigen, drängenden Forte-Teil – mit einer Coda-Stretta – feierlich in Dur. Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass dieses Finale nicht als typisch für Brahms bezeichnet werden kann bzw. sehr auf Beethoven (5. Sinfonie) hinweist.

Brahms war 1872 zum „artistischen Direktor“ der Gesellschaft der Musikfreunde  (Wiener Philharmoniker) ernannt geworden; allerdings trennte er sich wegen dauernder Querelen nach 3 Jahren wieder von dem Orchester, vor allem aber um Zeit für seine Kompositionen zu haben. Umfangreiche Konzertreisen – hauptsächlich mit eigenen Werken – machen ihn finanziell unabhängig. Er wird vielfach geehrt und ausgezeichnet (Ehrendoktor in Breslau und Cambridge, Ritter des Pour le mérité in Preußen, Ehrenbürger in Hamburg). 1881 wird sein zweites Klavierkonzert in Budapest mit sehr großem Erfolg uraufgeführt. Er war eng befreundet mit dem Wiener Chirurgen Theodor Billroth; Brahms widmete ihm 1873 Streichquartette. Sein Tod 1894 war für Brahms ein Schock, zumal einige Tage später der Dirigent Hans von Bülow starb, der sich für die Verbreitung der Musik von Brahms sehr eingesetzt hatte. 1896 starb dann Clara Schumann, was ihn sehr erschütterte und sich auch allgemein auf seinen Gesundheitszustand auswirkte. Im gleichen Jahr erfolgte sein letztes Auftreten in einem Konzert in Berlin, wo er mit Eugen d’Albert als Solisten seine beiden Klavierkonzerte dirigierte. Nach (zu) langem Zögern begab er sich in ärztliche Behandlung, und es wurde eine Gelbsucht diagnostiziert. Seine Kräfte verließen ihn immer mehr, die Krankheit wurde progredient, er wurde apathisch. Brahms starb am 3. April 1897.

 

emw koch November 2018

Literatur beim Verfasser