Wie hören wir Musik?

Wie hören wir Musik ?

Eine neue Spielzeit des Orchesters am Staatstheater Darmstadt beginnt, und sie umfasst ein Programm mit Kompositionen unterschiedlicher Komponisten. Die Hörer erwartet ein Angebot von Beiträgen unterschiedlicher Herkunftsländer, Zeiten und Stile, denen mit Interesse entgegengesehen (-gehört) werden kann. In diesem Zusammenhang mag es vielleicht auch interessant sein, zu erfahren, wie wir diese Musik hören, empfinden und erleben können, und der folgende Beitrag soll ein Versuch sein, dafür aus wissenschaftlicher Sicht etwas Verständnis zu finden.

Musik umfasst Ton, Melodie, Klangfarbe, Harmonie und Rhythmus. Hieraus entstehen komplexe  akustische Strukturen. Musik besteht somit aus produzierten Schallmustern unterschiedlicher Tonhöhe und Tonlänge, was emotionalen, kulturellen, sozialen oder kognitiven Zwecken dienen kann. Musik ist auch Gestalt in der Zeit, und unserer Hörvermögen ist unser zeitlich genauester Sinn, denn mit ihm können – im Unterschied zu anderen Sinnen – Zeitstrukturen erfasst werden.

Im Vordergrund steht der Schall, der das Ohr erreicht und vom äußeren Ohr zum Mittelohr und dann zum Innenohr weitergeleitet wird, wo es dann zur zentralnervösen akustischen Informationsverarbeitung kommt. Das Gehör ist einer der fünf Sinne des Menschen. Mit ihm erleben wir Geräusche und Töne, aber auch Rhythmen sowie Sprache. Das Gehör ist ein Fernsinn, das heißt es bedarf – ebenso wie das Sehen und im Gegensatz zur Berührung oder zum Geschmack  –  keines direkten Kontakts. Schall benötigt aber ein Ausbreitungsmedium wie z. B. Luft oder Wasser. Das Hören selbst ist dann aktiv; Melodie, Harmonie, Rhythmus, Klang und Zeitstruktur werden dem Menschen überhaupt erst durch das aktive Erleben von Musik bewusst.

Schall kann als Druckschwankung angesehen werden, die sich kugelförmig in einem Medium als Longitudinalwelle ausbreitet. Denn Schall entsteht durch Bewegungen von Luftmolekülen. Diese Moleküle bewirken durch ein weiteres „Anstoßen“ eine Ausbreitung des Schalls. Schwingt ein Gegenstand, so regt er die umgebenden Luftmoleküle nicht nur einmal, sondern wiederholt an. Es entstehen Longitudinalwellen, und sie unterscheiden sich von Wasserwellen, die sich transversal ausbreiten. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Schalls in unserer Atmosphäre beträgt 343 m in der Sekunde.

Schall lässt sich physikalisch in zwei Kategorien unterteilen: Rauschen und Töne, wobei ein Ton durch eine Sinusschwingung mit Frequenz und Amplitude charakterisiert ist. Als Frequenz wird die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde bezeichnet (Hz); die Amplitude definiert die Größe des Ausschlags der Schwingung (mm). Im Vergleich dazu ist das Rauschen völlig ungeordnet, und dementsprechend schwingen die Luftteilchen nicht, sondern führen vollkommen zufällige Bewegungen aus. Rauschen enthält alle Töne d.h. aber auch keinen definitiven.

Der Schall kann visuell – in analoger Form mit Hilfe eines Oszillographen – dargestellt werden, indem man das Ausmaß der Schwingung der Luftteilchen in Abhängigkeit von der Zeit graphisch abbildet. Es ergibt sich eine Schallwelle, die vom Maßstab für die Zeitachse abhängt. Neuerdings wird Musik digital aufgezeichnet, wobei der Luftdruck pro Sekunde 44,100mal gemessen wird. Auf einer CD mit 74 Minuten Spielzeit befinden sich dementsprechend 6,2 Milliarden Mal Nullen und Einsen.

Viele Gegenstände schwingen, wodurch Töne gebildet werden. Unterschiede zwischen zwei Tönen (Intervalle) wurden bereits von Pythagoras mit Zahlenverhältnissen der zur Tonerzeugung benutzten Saitenlängen in Verbindung gebracht. Später wurde festgestellt, dass eine Saite umso langsamer schwingt, je länger sie ist. Nimmt die Länge zu, vermindert sich die Frequenz. Die Frequenz steigt aber mit der Spannung der Saite, und sie fällt mit deren Dicke. Insofern werden beim Bau von Konzertflügeln Saiten mit unterschiedlichen Stärken und Gewichten benötigt, um die Töne auf – in der Regel – 243 Saiten verteilen zu können. In der Neuzeit führte die Elektronik zur Entwicklung kleiner Geräte mit mehr Lautstärke – allerdings mit geringerer Klangqualität.

Um die akustische Informationsverarbeitung beim Menschen mit Hilfe von Ohr und Gehirn zu verstehen, muss jeder Schall als eine Art der Energieübertragung angesehen werden. Dazu muss der von der Entfernung der Schallquelle abhängige bzw. quadratisch abnehmende Energieverlust ausgeglichen werden, was eine besondere Empfindlichkeit der menschlichen Ohren erfordert. Sie können eine sehr große Breite (zwischen Hörschwelle und Schmerzgrenze) eingehender Schallenergie differenzieren und lokalisieren. Dazu dient zunächst das äußere Ohr mit Gehörgang und Ohrmuschel, wo der eintreffende Schall konzentriert wird. Durch die Struktur der Ohrmuschel kann der Schall auf einem direkten und auf einem indirekten, Weg in den Gehörgang gelangen, was zur Möglichkeit eines räumlichen Hörens beiträgt. Im äußeren Gehörgang werden die eingehenden Schwingungen verstärkt. Die weitergeleiteten Druckschwankungen der Luft treffen auf das Trommelfell und bewirken dessen Schwingungen. Diese Schwingungen werden im Mittelohr durch Hammer, Amboss und Steigbügel auf das Fenster und damit auf die Flüssigkeit des Innenohrs übertragen.

Das Innenohr setzt sich aus dem Hörorgan (Schnecke) und dem Gleichgewichtsorgan (Bodengänge) zusammen. In der Schnecke befinden sich flüssigkeitsgefüllte Kanäle, die durch Membranen getrennt sind und bewirken, dass Schwingungen in Nervenimpulse umgewandelt werden, wozu die inneren Haarzellen entlang der Schnecke auf der Basiliarmembran dienen. Unterschiedliche Frequenzen wandern unterschiedlich weit in der Schnecke, so dass sie differenziert zur Wirkung kommen. Die eingehenden Schallimpulse bewirken eine Bewegung der Basiliarmembran und Verbiegungen der Härchen. Dadurch werden elektrisch geladene Teilchen (Ionen) und damit elektrische Impulse freigesetzt, die dann sehr schnell auf der sogenannten Hörbahn weitergeleitet werden.

Die Stärke eines eingehenden Schallereignisses sagt aber nur dann etwas über seine Entfernung aus, wenn seine Lokalisation möglich ist. Insofern kommt einer Übereinstimmung von visuellen und akustischen Eindrücken eine besondere Bedeutung zu. Hinzu kommt, dass das Hörsystem auch durch den Schallschatten des Kopfes den Raumwinkel einschätzen kann; das rechte Ohr nimmt das Geräusch als lauter wahr, wenn es von der rechten Seite eintrifft. Auch die Form der Ohrmuschel trägt zur räumlichen Navigation bei. Durch die Nervenzellen und Fasern der Hörbahn werden die ankommenden Impulse verarbeitet und durch sehr komplizierte Mechanismen als akustische Information zur Gehirnrinde (Cortex) weitergeleitet, wodurch uns die biologischen Vorgänge als Musik bewusst werden, die wir dann hören und genießen können.

Literatur beim Verfasser

emw koch, August 2018