Gustav Mahler: Symphonie VII; E- Moll

Gustav Mahler: Symphonie VII; E- Moll

Versuch einer Einführung

Gustav Mahler (1860-1911) hat eine Musik geschrieben, die man – zumindest teilweise – als sehr subjektiv und schwer fassbar bezeichnen muss. Er hat immer versucht etwas Menschliches darzustellen und sich dabei mit Problemen abgegeben, die sich oft als sehr kompliziert erweisen: z. B. das Verhältnis von Mensch und Natur. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Programm-Musik.

Man kann seine Symphonien aber nicht im gleichen Sinne ansehen bzw. anhören wie die von Beethoven oder Brahms. Er selbst äußerte sich zu diesem Thema, dass Musik nicht direkt zu erklären sei und dass dem Hörer nicht mit Worten verdeutlicht werden sollte, was er beim Hören zu „erleben“ habe. „Ein Rest Mysterium bleibt immer – selbst für den Schöpfer“. Er deutete auch darauf hin, dass man mehr komponiert wird als selbst komponiert. Auf der anderen Seite stellte er jedoch auch fest: „Je weiter sich die Musik entwickelt, desto komplizierter wird der Apparat, den der Komponist aufbietet, um seine Ideen auszudrücken“. Er wies sogar darauf hin, dass „ wir größeren Lärm machen müssen, um in den übergroßen Konzertsälen und Opernhäusern von vielen gehört zu werden“. Der Sängerin Lilli Lehmann gegenüber erklärte er einmal, dass in 100 Jahren seine Sinfonien in Riesenhallen mit bis zu 30 000 Zuhörern aufgeführt und damit zu großen Volksfesten werden würden.

Dieser Hang zur Gigantomanie war wohl epochenbedingt zur Wende ins 20. Jahrhundert. Seine 9 vollendeten Sinfonien wurden etwa zwischen 1890 und 1910 komponiert. Er versuchte damit auch, die elenden sozialen Zustände dieser Zeit musikalisch zu schildern, teilweise mit prophetischen Ansätzen hinsichtlich der kommenden Katastrophen. Es war die Zeit entscheidender Entdeckungen wie die Einstein´sche Formel, die Quantentheorie (Max Planck) oder die Traumdeutung (S. Freud). In der Kunst erregten Picasso, Kadinsky oder Klimt viel Aufsehen, ebenso wie Thomas Mann, Schnitzler oder Karl Kraus sowie H. von Hofmannsthal in der Literatur.

Wir erkennen in Teilen der Musik von Mahler immer wieder Sehnsucht aber auch Resignation. Es ist aufregend, mit welcher Intensität er in seinen Symphonien z. B.  die allseits aufkommende Freude an Kitsch darstellt  und damit auch bloßstellt. Gleichzeitig vermischt er häufig ein riesiges Spektrum von Schönem und Abstoßendem miteinander. Seine Symphonien enthalten (Trauer)-Märsche, dann auch Volksweisen, Walzer, Bauerntänze, Anklänge an chassidische Tänze, Gebete, Choräle. Man kann viel Groteskes und Morbides in dieser Musik erahnen. Vieles ist auch trivial, aber seine Absicht besteht meistens darin, das Ganze zum Guten zu führen.  Wenn in seinen Werken auch immer wieder auf vergangene Musik hingewiesen wird, so werden doch viele gewohnte Strukturen aufgegeben, und die Harmonien unterscheiden sich vielfach von denen der Klassiker. Für die Zeitgenossen war es schwierig, diese Musik einzuordnen. Mahler selbst fragte: „Oh Himmel – was soll das Publikum zu diesem Chaos, das ewig  eine neue Welt gebärt, die im nächsten Moment wieder zugrunde geht, ….. für ein Gesicht machen“? Der berühmte und berüchtigte Musikkritiker Eduard Hanslick schrieb über Mahler: „Einer von uns beiden muss verrückt sein – ich bin es nicht“!  Andere nannten Mahler den „Meyerbeer der modernen Musik, der seine Hörer durch die Überspitzung des Ausdrucks beleidige“. So wundert es nicht, dass Mahler ausruft:“ O, könnt ich meine Symphonien fünfzig Jahre nach meinem Tode aufführen“!

Allerdings finden sich in seinen Symphonien trotz der aufwendigen Orchesterbesetzung auch kammermusikalische Momente von hoher Intimität; Schönberg nannte das „solistische Instrumentation“. Ihre feinen Schattierungen und Nuancen waren ein typisches Zeichen seiner Zeit. Es waren auch Versuche, den Nachlass von Beethoven oder Wagner zu bewältigen, denn „ die Ernte ist eingeführt, und es sind nur noch die vereinzelt zurückgebliebenen Ähren aufzulesen“.

Heute, da wir wissen, dass zu dieser Zeit mit dem damals teilweise umstrittenen  Bruckner eine entscheidende hymnische und monumental wirkende Musikperiode  abgeschlossen war und folgerichtig durch Schönberg versucht wurde, etwas ganz Neues (Dodekaphonie) zu entwickeln, zeigt sich eine andere Rezeption für Mahlers Musik. Dabei bleiben immer noch die Gegensätze zu den Zeitgenossen Brahms, als letztem Vertreter mit weitgehend klassischen Formen und romantischen Klängen, und zu Richard Strauss mit seiner programmatischen Musik in seinen Tondichtungen, der – besonders in seinen Opern – den schönen Schein  unvergleichlich darstellt. Mahler wollte in seiner Kunst „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen“, und er war vom Jahrmarkttreiben  mit der ungeheuren Vielfalt von Geräuschen (Schießbuden, Militärkapelle, Karussell und Kasperletheater) so begeistert, dass er diese Polyphonie gerne in seine Symphonien übernahm. Andererseits finden wir immer wieder spätromantische  Elemente, die auf Wagner und seine Orchestrierungs-kunst hinweisen. Dabei ist es interessant, dass zum Beispiel sein Freund, der Dirigent Bruno Walter, darauf hinwies, dass Mahlers Musik „apokalyptische Schreckensbilder und hoffnungslose Düsternis“ (besonders in der 6. Symphonie) enthielte. Leonard Bernstein, einer der ganz großen Dirigenten, dem wir seit etwa 1960 eine sehr bedeutende Renaissance der Musik von Mahler verdanken, war der Überzeugung, dass Mahler die ganze Weltgeschichte der nächsten siebzig Jahre vorweg musiziert hatte, wie sie sich in den furchtbaren Weltkriegen, in Auschwitz, oder in Vietnam manifestierte.

Im Hinblick auf die vielfältige und oft widersprüchliche Beurteilung der Musik von Mahler muss man auch seine VII. Symphonie in E-Moll sehen. Sie ist bis heute nicht die beliebteste unter Mahlers Symphonien, und auch die von der Plattenindustrie fälschlicherweise ihr zugeordnete Bezeichnung  „Lied der Nacht“ hat das kaum geändert. Wie in den stilistisch vergleichbaren Symphonien V und VI verzichtet Mahrer in der Siebenten auf vokale Elemente.

Komponierhäuschen am Wörthersee

Wie die fünfte Symphonie beginnt auch die siebente mit einer Einleitung in Form eines Trauermarsches

Mahler hatte 1904 die 2 Nachtmusiken (2. und 4. Satz) bereits komponiert; er   befand sich im Sommer 1905 aber in einer Phase  andauernden Trübsinns, so dass er die Fertigstellung dieser Symphonie beinahe aufgegeben hätte.  Erst als er in seinem Ferienort am Wörthersee ankam, fand er das Thema der Einleitung zum ersten Satz, und er konnte dann die Symphonie mit ihren 5 Sätzen vollständig auskomponieren. Sie wurde dann allerdings erst 1908 in Prag uraufgeführt. Bis zu den letzten Proben  korrigierte Mahler – auch mit Hilfe befreundeter Musiker – an der Orchestrierung.

Entsprechend einer Analyse der 7. Symphonie von Michael Gielen (Dirigent und Komponist) könnte die Komposition von innen nach außen konstruiert sein. Damit steht das Scherzo als dritter von 5 Sätzen im Mittelpunkt, eingerahmt von den beiden Nachtmusiken. Diese 3 Mittelsätze zeigen sich als stilistisch nur wenig vereinbar mit den beiden Ecksätzen. Der erste und der fünfte Satz mit dem Rondo-Finale bilden praktisch ein Rahmenwerk.

Trotz der Bezeichnung Scherzo kann man im 3. Satz aber kaum etwas Heiteres finden, er wirkt eher wie ein Spuk (Pauken und Hörner-Phrasen untermalt vom Pizzicato der Streicher), was auch der Vortragsbezeichnung „schattenhaft“ entspricht. Dazwischen ertönt klagend eine Melodie, die von Flöten und Oboen gespielt wird. Ein etwas ins Parodistische verzerrter Walzer wird aufgespielt, der dann in heulenden Glissandi ausklingt. Die Schreckensszene erreicht einen Höhepunkt durch ein Pizzicato der Celli und Kontrabässe im fünffachen Forte. Die beiden „Nachtmusiken“ (2. und 4. Satz) erinnern noch einmal an die Konzertlieder „Des Knaben Wunderhorn“. Der 2. Satz beginnt mit einem Wechselgesang zwischen erstem und drittem Horn, gefolgt von Vogelrufen, die bald ihre stilisierte Artikulation verlieren. Es folgt ein Marsch, wie ihn Mahler (nach seinen Angaben) als Kind  von den Militärkapellen gehört hatte; er wirkt geisterhaft, als wenn Schatten von Soldaten nächtlich durch die Straßen marschieren. Etwas später ertönt erneut das Wechselspiel der beiden Hörner, und dazu erklingen in der Ferne – etwas befremdend in einem Symphoniekonzert – Herdenglocken. Mahler äußerte sich dazu, dass er damit „nicht das Bild einer Kuhherde vorzaubern wollte“, es ging ihm vielmehr um die Andeutung eines  „verhallenden Erdengeräuschs“, einem „letzten Gruß lebender Wesen“.

Von  der zweiten Nachtmusik (4. Satz) wird behauptet (Alma Mahler), dass sie auf romantische Visionen von Eichendorff hinweisen würde. Man könnte zustimmen, wenn man inmitten kammerorchestraler Besetzung  Gitarren- und Mandolinenmusik hört, und es könnte sich um eine nächtlich-romantische Szene mit Brunnenplätschern etc. handeln. Hört man genauer hin, kann man diese vermeintliche nächtliche Idylle auch als düsteren Spuk deuten.  Arnold Schönberg hat erklärt, dass seiner Meinung nach die Gitarre nicht nur für einen einzelnen Effekt dazu genommen wäre, sondern dass der ganz Satz auf diesem Klange stehen würde: „ sie ist ein ausführendes Organ dieser Komposition“.

Mit den beiden Ecksätzen (1 und 5) kehrt Mahler erneut zu den sehr großen Strukturen zurück, die vor allem in der 6. Symphonie imponierten. Mit dem Tenorhorn „röhrt die Natur“, wie Mahler sich ausdrückte. Man sollte auf die choralartige Phrase der Holzbläser achten, die in der Durchführung wiederholt zitiert wird. Der Allegroteil ist außerordentlich kompliziert und durch häufigen Wechsel zwischen Einstimmigkeit und Mehrstimmigkeit gekennzeichnet. Auch rhythmisch fällt es teilweise schwer zu folgen. Zwischendurch tauchen Perioden auf, die an Lieder erinnern, und immer wieder wird der Trauermarsch zitiert. Überraschend endet der Satz in Dur, was auf den letzten (fünften), sehr langen, Satz hinweist. Dieses Rondo-Finale in C-Dur (!) klingt festlich mit Jubelchoral, mit Fanfaren, Glockenläuten, Janitscharenmusik und einer Paraphase, in der man beinahe als Karikatur etwas aus dem Meistersinger-Vorspiel (R. Wagner) erkennen kann. Alles war für die Hörer zu Mahlers Zeit ungewöhnlich, und auch heute fällt es nicht leicht, sich wirklich musikalisch zu orientieren, wenn dann teilweise auf alte Formen von Symphonien zurückgegriffen wird. Allerdings findet sich in diesen turbulenten Abschnitten auch das Hauptthema aus dem ersten Satz wieder.

Theodor W. Adorno wies darauf hin, dass es eben auch schwache Stücke von Mahler gäbe, und zum letzten Satz der VII. Symphonie äußerte er: „ Ein ohnmächtiges Missverhältnis zwischen der prunkvollen Erscheinung und dem mageren Gehalt des Ganzen wird man sich auch bei angestrengter Versenkung kaum ausreden lassen, der Satz ist theatralisch“. Auch der berühmte Dirigent Otto Klemperer, der eng mit Mahler zusammenarbeitete und auch an der Uraufführung teilnahm, beurteilte den ersten und den letzten Satz der VII. Symphonie mit großer Skepsis und warf ihm einen gewissen Gigantismus vor. Einige Mahler-Spezialisten seiner Zeit sahen dagegen in dem Rondo-Finale eine „Offenbarung klanggewordenen Lebens“. Es scheint auch nicht abwegig, dass Mahler das ganze ebenfalls in C-Dur endende Feuerwerk an überschwänglicher Positivität ironisch verstanden wissen wollte, ggf. als Gegensatz zu dem extrem pessimistischen Ende seiner 6. Symphonie? Es ist in jedem Fall die Musik und damit Zeugnis eines Zeitalters, das mit Nostalgie für die „Welt von Gestern“ behaftet war und sich an den enormen zukunftweisenden technischen Fortschritt orientieren und gewöhnen musste.

Literatur beim Verfasser

emw koch, 24.5.2018