William Walton: Violinkonzert

Im Mittelpunkt des 6. Sinfoniekonzerts steht das Violinkonzert von William Walton, das unter der Leitung von Simon Gaudenz von dem ersten Geiger unseres Orchesters, Wilken Ranck, vorgetragen wird. Es ist eine besondere Freude, dass Herr Ranck erneut einen bedeutenden Solopart im Rahmen der Sinfoniekonzerte des Darmstädter Orchesters übernommen hat.
Der in Deutschland nur wenig bekannte Sir William Turner Walton wurde am 29. März 1902 in Oldham, Lancashire geboren. Bereits 1914 komponierte er seine ersten Werke, hauptsächlich Chor- und Orgelmusik. 1923 erschien „Façade“, ein Werk nach 21 experimentellen Gedichten von Edith Sitwell, was ihm den Ruf eines „enfant terrible“ einbrachte. Später komponierte er mehr in einem neoromantischen Stil, was sich besonders in seinem Viola-Konzert 1929 zeigte. 1931 wurde Belshazzar’s Feast uraufgeführt, das als eines der wichtigsten englischen Chorwerke des 20. Jahrhunderts angesehen werden muss. Ab 1934 begann Walton, auf Initiative des Regisseurs Paul Czinner, auch als Filmkomponist zu arbeiten, Seine erste Sinfonie, die nach langer Entstehungszeit 1935 erstmals komplett aufgeführt wurde, brachte ihm in Großbritannien große Anerkennung.

Jascha Heifetz, einer der ganz großen Geiger und ein bedeutender Musiker, wurde 1901 im litauischen Wilna geboren. Sein Vater war der erste Lehrmeister, und Heifetz spielte bereits als Siebenjähriger vor einem frenetisch jubelnden Publikum Mendelssohns Violinkonzert. Auftritte in seiner russischen Heimat und bald auch im Ausland begründeten und festigten seinen Ruf als Wunderkind. 1914 trat er zum ersten Mal als Solist mit den Berliner Philharmonikern auf. 1917 debütierte Heifetz in Amerika mit sehr großem Erfolg. 1924 erwarb er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Durch seinen Kollegen William Primrose wurde er mit William Walton bekannt; er lud ihn 1936 zu einem Lunch ein und bot ihm 300 £ für ein Violinkonzert an, für das er über 2 Jahre nach der Fertigstellung das alleinige Aufführungsrecht erhalten sollte. Walton betrachtete dieses Angebot als eine große Ehre und akzeptierte; die Uraufführung sollte anlässlich der Weltausstellung 1939 in New York erfolgen.

Walton war etwas besorgt, ob er ein Konzert komponieren könnte, dass dem Temperament und dem großen technischen Können von Heifetz entsprechen würde. Man traf sich dann 1939 in den USA und vollendete die Komposition gemeinsam, wobei Heifetz wertvolle Vorschläge, vor allem hinsichtlich des 3. Satzes, unterbreitete. Die Premiere fand dann etwas später in Cleveland unter Artur Rodzinski statt und wurde als bedeutender Erfolg angesehen. Walton selbst konnte an der Uraufführung nicht teilnehmen, da nach Beginn des 2. Weltkrieges eine private Atlantikpassage von Großbritannien nach US-Amerika nicht mehr möglich war. Die bei der Uraufführung verwendete Partitur ging verloren, als das Schiff, auf dem sie nach Großbritannien versandt wurde, torpediert wurde und unterging. Walton konnte trotzdem die britische Premiere 1941 mit Henry Holst als Solisten dirigieren. 1943 wurden von Walton noch einmal einige Revisionen bei der Orchestrierung vorgenommen.

Jascha Heifetz hat das Werk zweimal eingespielt; vor allem die zweite Aufnahme aus dem Jahr 1950 unter Walton am Dirigentenpult anlässlich einer Europatournee besitzt große Brillanz sowie Authentizität. Heifetz beweist dabei, dass er alle Möglichkeiten des Geigenspiels vollendet beherrscht.

Das Werk hat 3 Sätze. Der erste Satz trägt die Bezeichnung „Andante tranquillo“: er beginnt mit einem Solothema der Violine. Darauf übernimmt das Orchester mit einem weiteren, lebhafteren Thema, bis dann die Solovioline den Satz mit einer sehr lyrischen Passage beendet. Der Satz enthält viele schöne melodische Einfälle. Walton selbst hat zugegeben, dass die sehnsuchtsvollen Klänge von bestimmten Liebesaffären beeinflusst waren. Daneben kommt es aber auch zu scharfen Dissonanzen und zu einigen jazzartigen Synkopen. Der 2. Satz trägt die Bezeichnung „presto capriccioso à la napolitana“ und beginnt sehr stürmisch; die Solovioline führt dann ein neapolitanisches Walzermotiv vor, und es folgt danach ein vom Horn eingeführter Abschnitt. Das Finale (3. Satz) mit der Bezeichnung „Vivace“ fängt mit einem raschen Tempo an, die Sologeige übernimmt und präsentiert 3 Melodien, bis das Ganze zum ersten – fast romantisch anmutenden Thema – des ersten Satzes zurückgeführt wird.

Das Werk wirkt einerseits zeitbezogen modern, teilweise etwas witzig und auch scharf, aber andererseits ist es angenehm anzuhören. Es spielt teilweise mit den modernen musikalischen Experimenten seiner Zeit, ohne sie direkt zu übernehmen, und bietet einige Kontraste zu den kurz zuvor veröffentlichten Violinkonzerten von Schönberg und Berg. Auf jeden Fall gibt es dem Solopart jede Möglichkeit zu brillieren.

Ebenso wie für das Cello, die Bratsche und für Klavier hat Walton für die Violine nur das eine Werk geschrieben. Nach dem Violinkonzert hat Walton während des 2. Weltkrieges keine bedeutende Komposition mehr hervorgebracht. Er konzentrierte sich auf Musik zu amerikanischen Spielfilmen für die Truppen. Nach dem Krieg komponierte er sehr bemerkenswerte Musik für die Filme von Laurence Olivier (Hamlet, Richard III).

1947 erfolgte ein Auftrag von Gregor Piatigorsky für ein Cellokonzert. 1948 heiratete Walton die junge Argentinierin Susana Gil und zog mit ihr nach Ischia. Dort schrieb er seine erste Oper „Troilus and Cressida“; sie hatte 1954 im Royal Opera House Covent Garden Premiere. Die wichtigsten nachfolgenden Werke dieser Jahre sind seine zweite Sinfonie (1960), die Variationen über ein Thema von Hindemith (1963) und die zweite Oper „The Bear“ nach Tschechow. Walton starb am 8. März 1983 auf Ischia. Seine wichtigsten Werke sind mehrfach von bedeutenden Orchestern unter berühmten Dirigenten und mit namhaften Solisten eingespielt worden. In Anerkennung seiner Verdienste um die Musik wurde Walton 1967 in den Order of Merit aufgenommen, dessen reguläre Mitgliedschaft auf nur 24 Personen begrenzt ist.

emw koch 17.04.18